Schreibwerkstatt - Einstieg

Wer sich zum ersten Mal ernsthaft mit dem „Schreiben“ beschäftigt, sieht sich einer Flut von Fragen, Empfehlungen, klugen Sprüchen berühmter Persönlichkeiten und auch Mythen konfrontiert. Wenn es nicht mehr um das bloße Schreiben eines Einkaufszettels geht, wird Schreiben plötzlich zur Kunstform erhoben. Wenn man Freunden dann erzählt: „Ich schreibe da g‘rade an so einer Geschichte … “, dann hört man oft die bewundernden Worte: „Du schreibst?“ Was soll man dazu sagen?

Schreiben haben wir in der Schule gelernt. Was man uns nicht oder nur sehr spärlich beigebracht hat, ist die kreative Seite des Schreibens. Wenn ich die Grundlagen kreativen Schreibens darlege, höre ich oft Kommentare wie: „Warum hat man uns das nicht in der Schule beigebracht? Im Deutschunterricht.“

Die Frage ist berechtigt. Schließlich lernen wir im Deutschunterricht auch vieles über Literatur. An manch einen zwangsweise verabreichten Lesestoff erinnert man sich zeitlebens nur mit Grauen. Nehmen Sie es einfach als Ansporn, es besser zu machen. Der Schriftsteller ist nur solange ein Mythos, bis man sich entschließt, selber einer zu werden. Nehmen Sie sich die Worte Ingmar Bergmanns zu Herzen:

Es gibt keine Grenzen. Nicht für den Gedanken, nicht für die Gefühle. Die Angst setzt die Grenzen. (Ingmar Bergmann)

Schreiben, sei es eine Kurzgeschichte, ein Roman, ein Gedicht oder irgendeine andere schriftliche Ausdrucksform, ist zunächst einmal ein Handwerk. Ein Handwerk kann man erlernen. Wer fleißig übt, wird in seinem Handwerk irgendwann zum Könner. Und da Kunst von Können kommt, ist es nur eine Frage der Zeit, etwas Know-how und einer gewissen Beharrlichkeit, bis man etwas Brauchbares zu Papier gebracht hat.

Im Zitat (s. o.) von Ingmar Bergmann ist auch die Rede von Angst. Gerade bei Schreibanfängern wird häufig die „Angst vor dem leeren Blatt Papier“ (herbei) zitiert. Lassen Sie sich von dieser Angst nicht beeindrucken. Mit den folgenden Werkzeugen wird es Ihnen gelingen, schon nach kurzer Zeit das Grundgerüst einer Geschichte zu entwerfen.

Das erste Produkt, das Sie als angehende/r Schiftsteller/in herstellen sollten, ist das sogenannte Exposé. Den Begriff haben wir alle schon mal irgendwo gehört. In der Welt der Literatur wird es oft verwendet, um ein Buch bei einem Verlag zu bewerben. Es gibt viele Geister, die sich regelmäßig darüber streiten, wie ein solches Exposé auszusehen hat. Gegen Ende der Debatte erscheint dann der Pragmatiker und verkündet: „Frag beim Verlag nach, wie die es haben wollen … !“ Das stimmt!

Um dieses spezielle Exposé soll es hier nicht gehen. Dieses Exposé, nennen wir es mal Werkstatt-Exposé, ist zunächst nur für den internen Gebrauch. Man könnte es durchaus mit einem Lastenheft eines Ingenieurs vergleichen. Es soll die Geschichte, die man schreiben will, aus verschiedenen Blickwinkeln heraus darstellen. Es soll während des Scheibens als Leitfaden dienen, und es soll sich auch ändern und weiterentwickeln können. In Schreibforen hört man in diesem Zusammenhang oft den Begriff Plot-Entwicklung. Auch diese fortgeschrittene Technik sollte auf einem Exposé aufbauen.

Für den Schreibanfänger bietet sich hier die Möglichkeit, verschiedene Geschichten in kurzer Zeit zu entwickeln. Man kann diese Lesern, Freunden oder Verwandten, vorstellen und so ein Gefühl dafür entwickeln, was ankommt und was nicht. Und schließlich kann es auch die Basis für ein Exposé sein, das man dann tatsächlich an Verlage schickt.

Die Entwicklung der Geschichte folgt dem Prinzip: „vom Groben zum Feinen“. Indem man sich selbst bestimmte Fragen beantwortet und niederschreibt, entsteht das Exposé und damit das Grundgerüst der Geschichte. Schließlich hält man ein kleines Dossier in Händen, das einem Leser in 15 bis 20 Minuten die gesamte Geschichte offenbart.

Um dies hier gleich klarzustellen, es geht nicht darum einen Werbetext für ein Buch zu erstellen, der einem potenziellen Leser versucht ein Buch schmackhaft zu machen. Nein! In einem solchen Text würde man den Schluss nicht verraten, um die Spannung aufrechtzuerhalten. Darum geht es nicht. Gerade der Schluss ist besonders wichtig. Er sorgt erst dafür, dass der Leser die Geschichte auch „versteht“. Das ist die berühmte Moral von der G'schicht'.

Man könnte nun hingehen und zunächst den Schluss einer Geschichte entwerfen. Keine schlechte Taktik, aber das ist alles andere als einfach. In diesem ersten Entwurf reicht es, wenn er nur angedeutet wird. Schauen wir uns zunächst die drei Komponenten an, die unbedingt in jeder Geschichte enthalten sein sollten und die man später kurz skizzieren sollte.

Als Beispiel soll ein alter aber immer noch beliebter Witz sein.

1. Der Held

Kommt ein Pferd in einen Saloon und stellt sich an den Tresen.

Jede Geschichte braucht einen Helden oder eine Heldin, der/die auf irgendeine Weise unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein Pferd für sich ist noch nichts Außergewöhnliches, aber eines, das in einen Saloon kommt schon. Was will es bloß da drin?

2. Eine spannende Handlung

Dreht sich der Barkeeper um und meint: „Hey Kumpel, …“

Jede Geschichte ist von Handlungen geprägt, die zwangsläufig Gegenhandlungen erzeugen. Ist die Handlung unerwartet, desto mehr fragen wir uns, wie wohl die Gegenhandlung aussehen mag. So entsteht Spannung!

3. Die Wendung

„… warum machst 'n so 'n langes Gesicht?“

Eigentlich müsste die Geschichte einen ganz anderen Verlauf nehmen. Die Wendung in einer Geschichte trifft uns und zwingt uns zum Umdenken. Diese Wendung kann uns emotional aufwühlen, zum Lachen bringen oder sehr nachdenklich machen. Wenn wir uns den Witz oben etwas wissenschaftlich ansehen, dann haben wir eine Abfolge von Informationen. Die letzte Information, der Wendepunkt, die Pointe, die Moral von der G'schicht', sticht aus der Menge an Informationen extrem heraus. Dieses Alleinstellungsmerkmal sorgt dafür, das wir sie für bedeutend oder besonders wertvoll halten. Man kann in eine Geschichte auch mehrere Wendungen einbauen. Die Wichtigste ist aber die Wendung, die unsere Botschaft transportiert. Die den Schluss schlüssig macht. Solange man hier kein Konzept hat, sollte man die Geschichte noch nicht weiter ausarbeiten.

Wie bekommen wir diese drei Punkte nun in unser Exposé?

Für den Anfang reicht es, wenn wir zu jedem der drei Punkte zwei bis drei Sätze schreiben. Dabei beantworten wir einfach nur grundlegende Fragen, die sich unter bestimmten Gesichtspunkten ganz von selbst ergeben. Dabei sollten folgende Dinge geklärt werden:

1. Welches Genre bedient die Geschichte?

2. Für welche Zielgruppe ist die Geschichte?

3. Wie lautet die Botschaft der Geschichte?

Man sollte die drei Punkte als kleine Tabelle oben über die drei Grundkomponenten schreiben. Ändere ich eine dieser Punkte, müssen sich die Beschreibungen von Held, Handlung und Wendung ggf. auch ändern. Wichtig ist zunächst, dass man in kleinen Dimensionen anfängt. Man muss nicht gleich einen Roman im Stile eines „Krieg und Frieden“ (Tolstoi) im Sinn haben. Ich glaube es war ebenfalls Ingmar Bergmann, der behauptete: „Zu Viele wollen eine Bibel schreiben.“ Das Beste ist, man nimmt sich für den Anfang nur eine Kurzgeschichte vor. Aus einer guten Kurzgeschichte kann man immer noch einen guten Roman machen. Umgekehrt geht das eher selten.

Man kann es auch nicht jedem recht machen. Deshalb sollte man die Frage nach dem Genre genau klären. Vermischungen verschiedener Genres sind sehr schwierig und man sollte sich genau ansehen, ob die Botschaft in einem bestimmten Genre auch gut aufgehoben ist. Als Beispiel sei hier Fred Zinnemann genannt, der nach der Fertigstellung seines Westerns „High Noon“ (mit Gary Cooper) gar nicht mehr so überzeugt war, ob der Film die Botschaft zum Zuschauer tragen würde. Die Gesellschaftskritik, die ihm wichtig war, ging im Westernambiente fast gänzlich unter.

Hat man ein Genre festgelegt, ist die Frage nach dem Schluss oftmals nicht mehr ganz so schwierig. Auch die Charakterisierung des/der Helden/in fällt leichter.

Die Definition der Zielgruppe ist nicht ohne. Hat man als Erzähler oder Erzählerin bei Kindern schon den ein oder anderen Erfolg feiern können, dann könnte ein Märchen oder eine Fabel das Richtige sein. Zielgruppe: Kinder im Alter von x bis y.

Oder verfügt man über besondere Kenntnisse, die man nutzen kann. Hier bieten sich eine ganze Reihe guter Beispiele an. Nehmen wir John Grisham, der Anwalt, der zum Autor wurde. Seine Detailkenntnisse sind entscheidend für seine Justizthriller. Zielgruppe hier sind die „Krimifans“.

Nehmen wir unseren guten alten Karl May. Seine Besessenheit Reiseberichte zu lesen führte zu einem Hintergrundwissen, das für Abenteuerromane geradezu prädestiniert. Seine Zielgruppe waren damals Jugendliche und junge Erwachsene, die selbst gern in die Ferne ziehen wollten.

Der schwierigste Teil dieser Arbeit dürfte in der Definition der Botschaft liegen. Man muss sich darüber im Klaren sein, das jeder der schreibt, auch etwas damit bewirken will. Als Autor ist man Entdecker und Schüler der eigenen Geschichte. Indem man Helden entwirft, gibt man ihnen auch die eigenen Lebenserfahrungen mit. Welche Bedeutung könnte dies haben? Auch hier hilft es wieder, wenn man diesen Gesichtspunkt durch die Brillen „Genre“ und „Zielgruppe“ betrachtet.

Besonders schwierig, aber auch wertvoll, ist hier das Genre: Science Fiction. Gedanken über die Zukunft lassen uns die Gegenwart mit anderen Augen sehen. Vielleicht ergibt sich ein tieferer Sinn.

Bei einem Krimi liegt die Problematik vielleicht ganz woanders. „Du sollst nicht stehlen oder töten!“, ist als Botschaft etwas zu simpel. In einem guten Krimi ist der Held oft sehr persönlich betroffen. Vielleicht versteckt sich die Botschaft einfach darin, wie der Held selbst damit umgeht. Einer der Gründe für den Erfolg der Wallander-Krimis.

Bei der Definition der Botschaft kann es leicht passieren, dass man zu schullehrerhaft denkt. Geschichten, die mit dem erhobenen Zeigefinger geschrieben werden, sind nicht sehr beliebt. Wenn man merkt, dass man zu kompliziert an die Sache herangeht, kann man es einfach mal mit einer simplen Volksweisheit probieren. Zum Beispiel: „Nirgends ist es so schön, wie zu Hause!“ Das passt zur Dorothy im Zauberer von Oz (Theres no place like home.) ebenso, wie zu Odysseus aus Homers Odyssee.

Wenn Sie eine Botschaft in einem Satz unterbringen können, dann ist die Tabelle komplett und Sie können mit dem Beschreiben der drei Grundbestandteile beginnen.

Versuchen Sie zunächst mehrere dieser Kurz- oder Mini-Exposés zu schreiben. Es geht hier nur darum, etwas Übung mit den Grundkomponenten zu sammeln. Wenn man eine Variante gefunden hat, die lohnenswert erscheint, kann man diese weiter ausbauen.

Verwenden Sie hierzu am Besten das Musterdokument, das Sie hier herunterladen können.

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