Lektorat und Korrektorat
Wichtig: Schreiben Sie munter drauf los. Kümmern Sie sich nicht um Rechtschreibung oder Zeichensetzung. Manch einer fühlt sich von der automatischen Textkorrektur genötigt, ständig jeden Tippfehler zu korrigieren. Bei diesen ständigen Unterbrechungen gehen die besten Ideen flöten. Man korrigiert, springt mit den Pfeiltasten im Text herum und im nächsten Moment fragt man sich: „Was wollte ich jetzt noch sagen?“, oder „Mist, gerade hatte ich so eine schöne Formulierung im Kopf. Verdammt!“
Genau genommen sollte man die Rechtschreibung und die Grammatik erst am Schluss überprüfen und korrigieren. Warum? Zwischen Schreiben und Korrigieren sollte man etwas Abstand zum Text gewinnen. Wunderwerk menschliches Gehirn. Unser Gehirn ist es gewöhnt, fehlende oder falsche Informationen zu kompensieren. Sei es durch Hinzufügen von Informationen oder durch bloßes Ignorieren von überflüssigen Informationen. So passiert es, dass man Feler in ebnen geshribnen Texden einfach nicht findet, weil das Gehirn sich mehr an die Vorlage im eigenen Kopf hält, als an das tatsächlich Geschriebene. 5elbzt Tex5de ti nnudvvillig mid f3hl3rn gesbigt wurdnen, können vom menschlichen Gehirn erfolgreich entziffert werden.
Ein weiterer Grund für das Korrektorat am Ende ist das vorangehende Lektorat. Das Lektorat beschäftigt sich vor allem mit der Aussage, dem Stil, dem Informationsgehalt von Texten. Liest sich ein Text flüssig? Hat er einen angenehmen Rhythmus? Sind die Aussagen für den Leser schlüssig und unmissverständlich? Bei diesem ersten Korrekturschritt werden oft Satzkonstruktionen umgestellt. Dabei schleichen sich Fehler ein, die bei einem sofortigen Korrektorat leicht überlesen werden.
Grundregel Nummer eins könnte also lauten:
Erst das Lektorat, dann das Korrektorat.
Bevor man zum Korrektorat schreitet, dem „Finish“, lektoriert man den Text. Auch beim Lektorat ist etwas Abstand zum Text sehr förderlich. Manche Profis lassen einen Text Wochen, ja sogar Monate liegen, bevor sie ihn noch einmal lesen. Nach so einem Zeitraum hat man viele Passagen schon vergessen und es liest sich, als wäre der Text von einem anderen Autor verfasst worden. Unter diesen Umständen kann man die Qualität eines Textes einigermaßen objektiv beurteilen. Leider hat man nur selten die Zeit, einen großen Abstand zu schaffen. Manche Texte müssen vielleicht noch am selben Tag raus. Wer keinen Lektor zur Hand hat, der den Text lesen kann, und obendrein keine Zeit hat für den nötigen Abstand zu sorgen, der muss ran. Viele fragen sich, ob es vielleicht ein System gibt, eine Art Anleitung, die ein Selbstlektorat unter widrigen Umständen ermöglicht. Ich behaupte: ja, bis zu einem gewissen Maß ist dies möglich.
Die folgende Checkliste kann Ihnen helfen, Texte zu verbessern. Die Reihenfolge der Korrekturschritte soll Ihnen helfen nicht nur die Qualität des Textes als solches zu verbessern. Die einzelnen Schritte sollen helfen einen so großen Abstand herzustellen, dass man auch feststellen kann, wie aussagefähig ein Text ist, ob die gewünschte Information beim Leser ankommt.
Nicht möglich ist es, ein perfektes System für jede Textart und für jeden x-beliebigen Autor zu erschaffen. Im folgenden Beispiel geht es darum, ein Anschreiben in einer Bewerbung zu lektorieren. Eine Textart, bei der sich fast jeder sehr schwer tut. Die aufgelisteten Fehler tauchen nicht bei jedem Autor und jeder Textart auf. Vielleicht muss man die Reihenfolge etwas ändern. Letztlich muss jeder die einzelnen Korrekturschritte auf die eigenen Bedürfnisse anpassen. Das Beispiel des Bewerbungsanschreibens eignet sich sehr gut, weil man hier die größte Konzentration an textlichen Pleiten, Pech und Pannen vorfindet.
Schritt 1: Füllwörter eliminieren!
In unserer Schriftsprache haben wir uns Wörter angewöhnt, mit denen wir Texte mehr oder weniger sinnvoll auffüllen. Beim Sprechen hören wir oft Leute äh, ähm oder hmm... sagen, um kurze Sprechpausen zu überbrücken. Beim Schreiben sind es Wörter wie: eigentlich, etwa, überhaupt, auch, hier und da, usw.
Viele dieser Füllwörter verwenden wir unbewusst. Wir machen uns kaum Gedanken darüber, ob sie für das Verständnis eines Satzes notwendig sind. Diese Füllwörter sind es, die man am Besten ersatzlos streicht. Am Anfang mag es etwas Überwindung kosten. Genau so arbeiten Lektoren. Alles, was nicht wirklich notwendig ist, fällt dem Rotstift zum Opfer. Dies ist gleichzeitig der erste Schritt, etwas Abstand zum eigenen Text aufzubauen. Danach werden Sie feststellen, dass die Sätze direkter in der Aussage sind. Der Leser erfasst den Sinn schneller, weil er sich nicht über Wörter Gedanken machen muss, die der Aussage sowieso nicht dienlich sind.
Also: Füllwörter, die die Bedeutung eines Satzes nicht verändern, wenn man sie streicht, gehören in die Tonne! Als Faustregel kann man annehmen, dass ca. 80% der Füllwörter nutzlos sind und die Verständlichkeit eines Textes verringern.
Schritt 2: Sätze kürzen.
Wenn Sie die Füllwörter im Text gestrichen haben, gehen Sie an den Anfang des Textes zurück und prüfen Sie, wie lang die Sätze sind. 3 Zeilen sind grenzwertig. Mehr als 3 Zeilen sind eine Zumutung. Zunächst ersetzt man dort ein Komma durch einen Punkt wo es möglich ist und schreibt dann groß weiter. Das schafft sofort etwas Ordnung. Danach kann man sich vornehmen, dass kein Satz mehr als 2 Kommata enthalten soll. Oder man nimmt sich den längsten Satz, den man finden kann und überlegt, wie man ihn in 2 oder 3 Sätze aufteilen kann. In einem Bewerbungsanschreiben ist diese Aufgabe relativ leicht zu erledigen. Bekommt man dabei Schwierigkeiten, könnte das an verdrehten Satzkonstruktionen liegen.
Schritt 3: Verben nach vorn stellen.
Gerade in Bewerbungen findet man oft Sätze, die mit unschönen Satzanfängen aufwarten. Der Verfasser kann es wohl nicht erwarten, den Grund für etwas zu nennen, bevor er das Ereignis beschrieben hat. So liest man zum Beispiel:
Da ich seit …
Aufgrund meiner …
Solche Sätze sind auf zentralen Verben, oder nennen wir es mal Tätigkeiten herum, aufgebaut. Holt man die Tätigkeit nach vorn, klärt sich die grammatikalische Konstruktion auf.
Da ich die Aussicht da oben gut finde, steige ich seit Jahren auf Bäume.
Korrigiert: Ich steige seit Jahren auf Bäume, weil ich die Aussicht da oben gut finde.
Ach so, wo wir gerade von Bewerbungen reden. In vielen Bewerbungen tauchen Floskeln auf, die manchmal behördlich, manchmal übertrieben feierlich klingen. Zum Beispiel Sätze, die mit „Hiermit … „ beginnen.
Hiermit überreiche ich Ihnen feierlich meine offizielle Bewerbung für Dings.
Etwas schräg wirken auch Begründungen mit „, somit … „
Ich bin jetzt fertig, somit schicke ich Ihnen das Ergebnis meiner Bemühungen.
Solch verdrehte Satzkonstruktionen wie oben, Pseudo-Behördensprache und etwas holprig formulierte Schlussfolgerungen können dazu führen, dass man eine regelrechte Schreibblockade bekommt. Eine Korrektur scheint fast unmöglich. Eine Normalisierung der Grammatik kann hier helfen. Wenn aber Pseudo-Behördensprache in Umgangssprache umformuliert, immer noch seltsam klingt, dann ist man vielleicht einem anderen Problem auf die Schliche gekommen.
Schritt 4: Leere Worthülsen entfernen.
Dinge, die selbstverständlich sind, werden nicht dadurch außergewöhnlich, indem man sie mit blumigen Beschreibungen ausschmückt. Das gilt für alle Arten von Texten. Der Leser fühlt sich ganz schlicht seiner Zeit beraubt, wenn er solche sinnleeren Floskeln abarbeiten muss. In Bewerbungen geschieht dies häufig, wenn der Verfasser seine „Soft-Skills“ herausstellen will. Persönliche Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Teamfähigkeit oder Improvisationstalent. Leere Worthülsen und Allgemeinposten dringend und vollständig streichen.
Schritt 5: Adjektivitis!
Ähnlich wie bei den leeren Worthülsen, ist es mit Adjektiven. Wer mit zu viel Eigenschaftswörtern Sätze aufbläht, wirkt schnell unglaubwürdig. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie etwas Derartiges lesen müssten. Hier etwas übertrieben.
Ich freue mich schon jetzt außerordentlich gern auf ein sehr persönliches und gescheites Vorstellungsgespräch in Ihrer sehr angenehmen und wohnlichen Firma und verbleibe mit so was von freundlichen und zahlreichen Grüßen, Ihr äußerst hochachtungsvoll ergebener Dings.
Das ist wirklich zu viel des Guten. Hier sollte man sich in der Kunst des Weglassens üben. Bedenken Sie, ein höfliches Deutsch ist immer einfach und kommt ohne große umschweife auf den Punkt. Ein Text, der mit wenigen Worten viel aussagt, wirkt reif und elegant.
Hat man es bis hier geschafft, sollte man einen klaren, gut lesbaren Text in Händen halten. Nun kann man sich mit etwas mehr Abstand fragen, ob der Text die richtige Botschaft enthält. Kommt das zum Ausdruck, was mir wirklich wichtig ist? Zeigt mich der Text von meiner besten Seite?
Wenn ja, dann auf zum Korrektorat.
Normalerweise hat man beim Lektorat bereits viele Vertipper und andere Fehler beseitigt. Nun muss man aber auch noch die finden, bei denen das eigene Gehirn gern streikt. Bei den Umstellungen der Sätze sind vielleicht manche Worte doppelt im Text zu finden. Oder es fehlen welche. Diese Grammatikfehler zu finden, ist nicht leicht. Die beste Taktik ist zunächst die eigene Perspektive auf den Text radikal zu verändern. Folgende Möglichkeiten bieten sich hierbei an:
Man kann die Darstellungsgröße des Textes am Bildschirm stark verändern. Zum Beispiel von 100 auf 200 %.
Man kann einen anderen Font (Schriftart) wählen. Zum Beispiel von einer serifenlosen Schrift, wie die Arial, auf die serifenbetonte Times. Unter Umständen kann auch eine Schreibschrift beim Lesen besonders fordernd sein.
Sehr hilfreich ist es auch den Text laut vorzulesen.
Wer feststellt, dass einem am Bildschirm zu viele Fehler durch die Lappen gehen, sollte den Text ausdrucken und zum Beispiel mithilfe eines Lineals Zeile für Zeile durchgehen.
Ganz zum Schluss folgt die Rechtschreibkorrektur Wort für Wort. Wer hier auf Nummer sicher gehen will, der liest den Text einfach rückwärts.