Zeigen, nicht erzählen
Im vorangegangen Artikel „Der erste Satz“, war (mal wieder) von „show, don't tell“ die Rede. In Schreibforen, Facebook-Gruppen, selbst bei Wikipedia liest man von dieser wundersamen Ingredienz der modernen Literatur. Aber was bedeutet es und noch wichtiger, wie funktioniert zeigen, nicht erzählen? Gibt es eine Formel, die man auswendig lernen kann?
Sehen wir uns zunächst die Bedeutung an. Man kann den Begriff auf zweierlei Weise übersetzen. Zum einen kann es heißen: „Zeigen, nicht erzählen". Zum anderen geht aber auch: „Zeigen, nicht erklären.“. Beide Übersetzungen sind aus der Sicht des kreativen Schreibers wichtig und korrekt.
Die erste Empfehlung: „… nicht erzählen“, ist mit etwas Vorsicht zu genießen. Hier geht es um eine Textform, die als narrative Zusammenfassung bezeichnet wird (Narration=Erzählung). Wie man an der Bezeichnung Zusammenfassung erkennen kann, ist es möglich, mit dieser Erzählform den Elementen einer Geschichte eine unterschiedliche Gewichtung zu verleihen. Es ist nicht verboten, diese Erzählform zu benutzen. Ganz im Gegenteil. Man wird sie immer wieder in einer Geschichte verwenden müssen, damit bestimmte Teile, die weniger wichtig sind, nicht zu sehr aufgebläht werden. Gerade bei Übergängen zwischen Szenen empfiehlt es sich, kurz den Zusammenhang durch eine narrative Zusammenfassung herzustellen. Sobald man wieder in den „Zeigen, nicht erzählen-Modus“ umschaltet, merkt der Leser, dass der bedeutende Teil der Story weitergeht.
Die zweite Empfehlung: „… nicht erklären.“, soll dem angehenden Autor nahelegen, sich selbst aus der Geschichte als Faktor herauszunehmen. In der modernen Literatur, geht es darum, das Kopfkino des Lesers zu füttern. Er soll (und will) sich die Geschichte selbst erklären. Der Leser eines Romans, will nicht vom Autor hören, warum jemand etwas tut oder lässt.
Und damit sind wir auch schon beim Zeigen, was gelegentlich auch als szenisches Schreiben bezeichnet wird. Der Unterschied zwischen Zeigen und Erzählen besteht darin, dass beim Zeigen die Geschichte vor dem inneren Auge des Lesers abzulaufen scheint. Wie oft hört man von Leuten, die sich die Verfilmung eines Stoffes angesehen haben, hinterher den Kommentar: „Das war in dem Buch ganz anders, es war viel …“, und dann kommt die Beschreibung des Films, den der Leser in seinem Kopf gedreht hat. Und der sieht bei jedem anders aus.
Gerade das macht den Reiz eines Buches aus. Es bedeutet auch, dass wir dem Leser beim Zeigen Spielräume für die eigene Ausgestaltung lassen. Das ist auch keine große Kunst, denn man kann keine Szene so detailliert beschreiben, ohne dass der Leser eigene Vorstellungen einbaut.
Da haben wir schon die wichtigste Vokabel, die beschreibt, wie dieses Zeigen funktioniert. Wir gehen bei der Beschreibung ins Detail. Wir gelangen am ehesten zum Zeigen, wenn wir Szenen und Handlungen detailliert beschreiben. Hier ein Beispiel.
Narrative Zusammenfassung: Er setzte sich an den Tisch.
Szenische Darstellung (Zeigen): Er beugte sich leicht vornüber, peilte den Stuhl hinter sich an und lies sich gemächlich hernieder. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, lehnte er sich zufrieden an die Lehne und hob seinen Zeigefinger.
Na? Haben Sie den alten Mann im Biergarten gesehen? Oder wer war es? Und wo war er? In der narrativen Zusammenfassung darüber konnten wir lediglich eine Information herauslesen. Mehr ist nicht.
In dieser szenischen Beschreibung lassen sich zwei weitere Elemente finden, die für das Zeigen äußerst wichtig sind. Dass der Fokus auf den Details liegt, haben wir schon festgestellt. Das zweite wichtige Element ist die Bewegung. Unsere bildhafte Vorstellungskraft wird immer dann besonders angeregt, wenn etwas in Bewegung gerät. Etwas Starres lässt sich nur sehr schwer bildhaft beschreiben. Nehmen wir den Horizont in der Wüste. Wir können ihn erst vor uns sehen, wenn wir die Bewegung der heißen Luft erwähnen. Das Zweite sind versteckte Wertungen. Wenn sich jemand hernieder lässt, dann setzt er sich nicht einfach so hin. Hier hat der Leser einen Interpretationsspielraum. Vielleicht setzt er sich auf besonders würdevolle Art und Weise hin, oder setzt er sich ganz langsam hin, weil er es im Kreuz hat, vielleicht nach einer längeren Wanderung. Mal weiterlesen und sehen, was kommt!
In der darstellenden Kunst spricht man auch gern von „der hohen Kunst des Weglassens“.
Was können wir noch tun, damit die Bilder im Kopf unseres Leser landen? Hier ein weiteres Beispiel aus meiner eignen Schreibwerkstatt:
1. narrative Zusammenfassung:
Sie nahm wie immer die Frühmaschine und flog über Dallas, Texas nach Billings, in Montana. Durch den Zwischenstopp und das Umsteigen, konnte der Flug mal 9 oder 10 Stunden dauern. Durch die Zeitverschiebung kam sie trotzdem im Hellen an.
2. szenische Darstellung:
Als sie in Billings war und endlich aus dem Flughafengebäude herauskam, wurde sie vom blauen, endlosen Himmel über Montana begrüßt. Sie spürte sofort die trockene Kälte ihrer Heimat, die ihr, im Gegensatz zur feuchten Kälte in New York, nichts ausmachte.
Glenn stand wie immer betont lässig an ihren riesigen Pick-up gelehnt auf dem Parkplatz. Sie rauchte eine Zigarette und blies den Rauch demonstrativ in die kalte Winterluft von Montana. Als sie Aphrodite sah, stieß sie ein kurzes: „Joohoo.“, aus und lief ihr entgegen.
Hier kommen Sinneseindrücke hinzu, die wir kennen und nachvollziehen können. Ausserdem werden innerhalb dieser Beschreibungen Informationen versteckt, die uns weitere Anhaltspunkte über die Story liefern. In der narrativen Zusammenfassung darüber lesen wir, dass die Heldin offenbar unterwegs ist. Diese Reise scheint nicht weiter wichtig zu sein und erklärt dem Leser nur, wie sie an einen anderen Ort gelangt. Bei der Ankunft jedoch setzt die Geschichte wieder ein. Wir wissen sofort, dass es Winter ist und es ist die Heimat der Heldin. Die weiße Rauchfahne ihrer Freundin können wir auch sehen und sie scheint sich zu freuen.
Gerade Sinneseindrücke in allen denkbaren Variationen, lassen das Kopfkino wie von selbst laufen. Wenn wir ins Detail gehen, können wir uns Fragen stellen wie:
Wie riecht es an diesem Ort?
Welche Geräusche sind zu hören.
Was für ein Gefühl erzeugt dies oder jenes auf der Haut.
Wie fühlt sich ein Objekt an?
Welchen Geschmack hat es?
Eine weitere wichtige Frage beim Zeigen ist: Woran erkenne ich Emotionen?
Im Beispiel oben hören wir den Jauchzer in der wörtlichen Rede. Man kann Emotionen auch über Bewegungen, Gesichtszüge und Ähnliches darstellen. Noch ein Beispiel aus meiner Werkstatt:
Die Begrüßungszeremonie wurde von Jack jäh unterbrochen: „Hi, Aphrodite!“, und ging mit gezogenem Zeigefinger im Anschlag auf Glenn los, „Wir müssen reden!“
Die Worte: „Wir müssen reden!“, sagen nicht sehr viel aus. In Verbindung mit dem Zeigefinger „im Anschlag“ wird die Aussage hingegen bildhaft und dementsprechend ausdrucksstark. So entsteht ein Gesamtbild einer Situation. Und Bilder sagen bekanntlich mehr als tausend Worte.